Inhalt:
Wer heute von »Globalisierung« oder »Europa« spricht, muß eine konkurrierende Bewegung mitdenken: das weltweit erstarkende regionale Identitätsbewußtsein. Fruchtbare Unruhe schwappt von den Rändern her in die Metropolen. Auch der Niederrhein beginnt, sich als Region zu konturieren, ist er im kulturellen Kontext der Nation doch lange genug terra incognita geblieben. Die aus politischen und historischen Gegebenheiten sich herleitende Zwischen-, Grenz- und Randlage, der schnelle Wechsel der Obrigkeiten sowie die Vermischung von Sprachen und Kulturen sichern dem Niederrhein aus heutiger Sicht eine Vorläuferposition im zusammenwachsenden Europa. Seit je hat er als Schmelztiegel das Experiment Europa vorbereitet.
Der Niederrhein ist in Wirklichkeit nicht nur geographisch gesehen europäisches Kernland. Paul Eßer legt eine Sprach- und Literaturgeschichte vor, die auf instruktive und anregende Weise einen Einblick in das kulturelle Leben dieser Region bietet, die bisher eben auch literarhistorisch als Randgebiet galt und entsprechend vernachlässigt wurde. Der Autor zeichnet das facettenreiche Bild einer Landschaft, die mit namhaften Autoren wie Albert Vigoleis Thelen und Dieter Wellershoff sowie Kabarett- und Comic-Künstlern vom Rang eines Hanns Dieter Hüsch und eines Walter Moers auf sich aufmerksam macht. Eßer reißt den von Kopfweidenklischees und Provinzdiffamierung verstellten Horizont auf und entwirft das kulturelle Panorama einer Region, die sich einmal Moyland (kelt. »Schönland«) nannte.
Das Buch ist in zwei Hauptteile gegliedert. Im ersten Teil geht der Autor auf die sprachlichen Besonderheiten am Niederrhein, d. h. auf verschiedene Aspekte des Dialekts ein. Im zweiten Teil werden den wichtigsten vom Niederrhein stammenden Autoren Einzeldarstellungen gewidmet, die sowohl kurze biographische Abrisse als auch Werkanalysen enthalten. Dabei scheut sich Paul Eßer nicht, die literarische Qualität der behandelten Autoren zu bewerten und animiert so den interessierten Leser zur Überprüfung der Urteile bei der Lektüre der Originaltexte. Zugleich genügt die Darstellung wissenschaftlichen Ansprüchen; es finden sich u. a. zahlreiche Verweise auf weiterführende Literatur zu den vorgestellten Themenkomplexen und Autoren. Damit dürfte zum ersten Mal eine umfassende Studie zu Sprache und Literatur am Niederrhein vorliegen. Der Band wird von dem in Kalkar lebenden Künstler Cyrus Overbeck illustriert.
Informationen:
Jenseits der Kopfweiden. Sprache und Literatur am Niederrhein.
Grupello, Düsseldorf 2002
Mit 5 Holzschnitten von Cyrus Overbeck
216 Seiten, Klappenbroschur, Format: 13 x 21 cm
ISBN 3-933749-83-2
Kaufen bei: grupello
Presse:
Literarischer Niederrhein
Paul Eßer widmet sich einer vernachlässigten Kulturlandschaft.
Sumpfig-novembrig und vor allem platt, platt, platt - so stellen sich diejenigen, die nicht dort leben, zumeist den Niederrhein vor. Kultur? Allenfalls ein wenig Beuys in Schloß Moyland und das Übersetzerkollegium in Straelen. Dies allerdings ein Ort, der zweifellos bekannter durch seinen Spargel ist. Daß der Niederrhein auch eine facettenreiche Literaturlandschaft ist, diese Tatsache liegt unter dem Klischee hoffnungslos begraben. Der Viersener Germanist und Studiendirektor Paul Eßer ruft sie in einer Darstellung ins Bewußtsein, die den regionalistisch interessierten Laien genauso erfreut wie den wissenschaftlich Vorbelasteten. Albert Vigoleis Thelen, Dieter Wellershoff, Günter Seuren, Hanns Dieter Hüsch - das sind klangvolle Namen vom literarischen Höhenkamm und (auch wenn dies zumeist verdrängt wird) - vom Niederrhein. Bei den Erörterungen zu Werk und Person wird die örtliche Perspektive dann freilich auch verschüttet - Eßer ist schließlich kein dumpfer Lokalpatriot. Umso präsenter ist sie dafür in den eröffnenden Kapiteln zur »Sprache am Niederrhein«.
(Kölner Stadt-Anzeiger, 04.01.2003)
Nichts für Lokalpatrioten und Erbsenzähler
Erstmals wagt sich einer an eine umfassende Studie zu Sprache und Literatur am Niederrhein - und siehe da, das Wagnis gelingt. Daß »Jenseits der Kopfweiden« sowohl wissenschaftlichen als auch belletristischen Ansprüchen genügt, liegt sicherlich daran, daß Autor Paul Eßer das Pro|ekt vorab gründlich durchdacht und sich genau überlegt hat, an welche Leserschaft es sich richten soll. Weder »heimatpflegerische Lokalpatrioten« noch »akademische Erbsenzähler« oder »urbane Schreibtischmenschen« will er ansprechen. Eßers Buch ist klar und übersichtlich gegliedert. Die Zweiteilung in zwei Hauptkapitel entspricht dem im Untertitel genannten Anliegen des Werkes. Dialekt und Mundart werden verständlich erläutert und aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert. Was Eßer mit zahlreichen Beispielen illustriert, ist weder langweilig noch (siehe oben) erbsenzählerisch, sondern sogar für diejenigen interessant, die sagen »Platt klingt wie Holländisch« und keine der beiden Sprachformen verstehen, geschweige denn sprechen. Der zweite Teil sprengt bei Weitem den Rahmen, den man vermuten mochte. Eßer stellt in lebendigen Kurzporträts nicht nur einzelne Schriftsteller wie den Mönchengladbacher Hans Leifhelm (1891-1947) oder den in Süchteln geborenen Albert Vigoleis Thelen (1903-1989) vor, sondern leistet sich einen ebenso knappen wie geistreichen Exkurs zu »Kunst und Kitsch«, betrachtet sonst eher unter den Teppich Gekehrtes wie den Nationalsozialismus und bezieht, in bester interdisziplinärer Manier, auch solche Gattungen wie Kabarett und Karikatur mit ein. Die lose eingestreuten Holzschnitte von Cyrus Overbeck passen gut zu einer flachen Flußlandschaft über der die Kopfweiden ihre Häupter senken, um dem Licht und der Stille ihre melancholische Referenz zu erweisen.
Susanne Schramm
(Neues Rheinland, 01.01.2003)
Geächtetes »Schönland«
»Es gibt keine niederrheinische Sprache, sondern 400 unterschiedliche Mundarten», behauptet der Viersener Germanist und Philologe Paul Eßer. Mit seinem neuen Werk »Jenseits der Kopfweiden. Sprache und Literatur am Niederrhein» legt Eßer eine Sprach- und Literaturgeschichte vor, die auf instruktive und anregende Weise Einblick in das kulturelle Leben am Niederrhein bietet. Dabei streift der Viersener auch das Phänomen, daß der niederrheinische Dialekt der einzige sei, der geächtet statt geachtet wird.
Paul Eßer zeichnet ein facettenreiches Bild einer Landschaft, die mit namhaften Autoren wie Albert Vigoleis Thelen, Dieter Wellershoff oder Hanns Dieter Hüsch auf sich aufmerksam macht. Auf diese Weise wird der von Kopfweiden-Klischees und Provinzdiffamierung verstellte Horizont aufgerissen und das kulturelle Panorama einer Region entworfen, die sich einmal »Moyland« (keltisch: »Schönland«) nannte. Eßer geht dabei nicht nur auf die sprachlichen Besonderheiten am Niederrhein ein, sondern widmet den zweiten Teil seines Werkes in Einzelkapiteln auch den bedeutendsten niederrheinischen Autoren, ihrer Biographie und ihren Werken. Ergänzt durch zahlreiche Verweise auf weiterführende Literatur zu den dargestellten Themenkomplexen und Autoren liegt mit Eßers Werk zum ersten Mal eine umfassende Studie zu Sprache und Literatur am Niederrhein vor.
Fünf Holzschnitte des aus Duisburg stammenden Künstlers Cyrus Overbeck illustrieren Eßers Werk und bieten einen atmosphärischen Einblick in die niederrheinischen Landschaften.
(Rheinische Post, 09.11.2002)
Niederrhein-Dialekte: Weit weg vom Hochdeutsch
Sprache und Literatur: Darum geht es im neuen Buch von Paul Eßer. In »Jenseits der Kopfweiden« stellt er niederrheinische Schriftsteller vor. »Sprache und Literatur am Niederrhein« bei diesen Stichwörtern könnte einem spontan etwa folgendes einfallen: Hanns Dieter Hüsch natürlich, selbstverständlich auch das »Trio Criminale« Leenders Bay Leenders, Albert Vigoleis Thelen vielleicht und eventuell auch noch der ein oder andere Mundartdichter. Der Viersener Autor Dr. Paul Eßer hat sich dasselbe Thema gestellt. Dabei ist er allerdings nicht spontan, sondern systematisch vorgegangen und legt daher in seinem Buch »Jenseits der Kopfweiden« einen ganz anderen Kanon vor. 16 Schriftstellern sind Einzelkapitel gewidmet, Mundartdichter, Cartoon-Künstler und Übersetzer werden als Gruppe vorgestellt.
Eßer lässt den Leser hineinschnuppern in Leben und Werk von Autoren wie Heinrich Lersch und Otto Brües, die zwar als Namensgeber von Straßen und Schulen bekannt sind, aber kaum noch gelesen werden. Ganz andsers steht es da mit den Zeitgenossen Dieter Wellershoff und Gisbert Haefs, vielleicht auch noch Burkhard Spinnen und Christoph Peters. Übrigens muss man nicht den Niederrhein in seinen Werken thematisieren, um bei Eßer aufzutauchen. Alle sind hier geboren, aber längst nicht jeder lebt noch hier. Dennoch prägt die Herkunft, was der aus Mönchengladbach stammende Gottfried Kapp wohl am treffendsten beschreibt: »Von dort stammen meine ersten, die frischesten und klarsten Eindrücke.«
Mit »Jenseits der Kopfweiden« ist Eßer ein höchst seltenes Kunststück geglückt: Er hat sein Buch geschrieben, dass dem wissenschaftlich orientierten Hochschulprofessor ebenso Spaß macht wie dem Unterhaltung suchenden Feierabendleser. Eßers gründliche eigene Analyse, gestützt durch Sekundärliteratur (mit hübsch ordentlichen Fußnoten), lässt ihn einen wertenden Standpunkt einnehmen, der bei aller Objektivität stets durchscheint und neugierig macht, bei dem ein oder anderen Schriftsteller selbst noch einmal nachzulesen. Ein flüssiger, sicherer Stil und innovative Sprache zeichnen Eßer aus: Das ist wahre Philologen-Poesie, lesbar und lesenswert.
Nicht unerwähnt bleiben sollte die Analyse der Sprache am Niederrhein, die nicht unbedingt erschöpfend ist, aber dennoch manche Bildungslücke schließen kann. Oder wussten Sie, dass es allein am Mittleren Niederrhein 314 verschiedene Dialekte gibt? Und dass keine Mundart so weit vom Hochdeutschen entfernt ist wie unsere?
Eine Bemerkung sei aber noch erlaubt: Über dieses Buch sollten wir Frauen uns ärgern. Denn anscheinend haben nur männliche Autoren Erwähnenswertes geschaffen. Dabei würde keiner behaupten, dass Frauen am Niederrhein nichts zu sagen hätten. Nur das Aufschreiben überlassen sie den Männern. Vielleicht gibt Eßers Bestandsaufnahme Anlass, das zu ändern. Also, liebe Kolleginnen von der schöngeistigen Seite der schreibenden Zunft, ran die die Tastaturen!
Sabine Hänisch
(Westdeutsche Zeitung, 15.10.2002)
Jenseits der Kopfweiden
Kritische Zuneigung zu seiner Heimat bestimmt die Haltung des Vierseners, in Mönchengladbach geborenen Autors Paul Eßer. 1997 hatte er ein Büchlein zum »Mythos Niederrhein« verfaßt. Nun legt Eßer eine umfängliche Studie zu Sprache und Literatur am Niederrhein vor.
»Es gibt keine niederrheinische Regionalsprache, sondern 400 unterschiedliche Mundarten zwischen Emmerich und Grevenbroich«, behauptet der 63jährige Germanist und Philologe. Platt ist auf dem Rückzug, weiß der ehemalige Deutschlehrer; auch, daß seine Kollegen am Zurückdrängen der Mundarten aktiv beteiligt waren. Daß es am Niederrhein, jener für Paul Eßer so »schwierigen Heimat«, bis heute nicht zu einem regionalen Identitätsbewußtsein gekommen sei, dafür macht der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes Niederrhein neben der wechselvollen politischen Geschichte dieses Grenzraumes eine verbreitete Eigenschaft der Niederrheiner verantwortlich - sich nicht festzulegen. Eßer: »Das Lieblingswort des Niederrheiners ist eigentlich.« Dennoch vermutet Eßer eine »besondere Unterströmung« im Wesen des Niederrheiners, die sich trotz seiner Neigung, »unter Fremdeinflüssen und Fremdherrschaften wegzutauchen, erhalten hat«.
Platt am Niederrhein: geächtet
Hintergrund seines Buches »Jenseits der Kopfweiden. Sprache und Literatur am Niederrhein« - gegliedert in eine Untersuchung der Sprache und eine Betrachtung der regionalen Literaturgeschichte - ist der Versuch, Sprache, Redeweisen und Literatur in Zusammenhang zu bringen. Eßer: »Unser niederfränkisch-ripuarischer Dialekt ist der einzige in Deutschland, der geächtet wird statt geachtet. Anders als bei Bayern, Hessen, Alemannen, Sachsen gilt sein Gebrauch als eine sprachliche Unterausstattung und wurde bekämpft.« Die von Heimatdichtem gepflegten Mundart-Reste würden wie versprengte Archivalien in Gedichten und Platt-Kolumnen gerettet, ohne ein breites Publikum zu erreichen. Andererseits sei es »toll, wie der Niederrheiner es schafft, mit drei, Wörtern den Prozeß wissenschaftlicher Forschung zu beschreiben: Kieke un telle - »übrigens zeitlebens mein Motto«, stellt Eßer schmulzend fest.
Kritisch kratzt Eßer im zweiten Teil, in dem er rund 20 Autoren, Kabarettisten und Cartoonisten vom Niederrhein vorstellt, am von Verehrern devot aufgetragenen Firnis auf niederrheinischen Schriftstellern. Schwachpunkte offen: beim Mönchengladbacher Volksdichter Heinrich Lersch dessen, politische Beschränktheit als Mitläufer der Nazis, wovon Eßer die Widerstandskraft eines Karl Otten aus Oberkrüchten positiv abhebt. Lersch, Hans Leifhelm und Gottfried Kapp stammen, ein Phänomen, übrigens aus demselben Gladbacher Stadtteil, aus Herziges. »Mit Lersch hätte ich ein Bier getrunken, der war ein politischer Wirrkopf, ein Chaot. Aber der Krefelder Otto Brües hatte viel mehr Bildungshintergrund, und er hat sich ganz bewußt mit den Nazis eingelassen«, betont Paul Eßer im Gespräch mit der RP.
Die »größte literarische Potenz unter den hochsprachlichen Niederrhein-Autoren« erkennt Eßer Albert Vigoleis Thelen zu, dem Autor des Schelmenromans »Die Insel des zweiten Gesichts« (1953). Von den lebenden Nachkriegsautoren beurteilt er den Neusser Dieter Wellershoff, den Kalkarer Christoph Peters und den Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch am günstigsten.
Paul Eßers neues Buch – anspruchsvolle Darstellung der literarischen Position des Niederrheins
Hartes Urteil über Otto Brües
Umstritten ist das Schaffen des Krefelder Autors und Journalisten Otto Brües (1897-1967) seit seinem Tod. Kritiker warfen dem humanistisch gebildeten Schriftsteller, der romantisch-triviale Idyllenmalerei bevorzugte, vor, sich allzu bereitwillig auf die Gralshüter der Nazi-Unkultur eingelassen zu haben. Daran knüpft auch Paul Eßer in seinein neuen Buch »Jenseits der Kopfweiden« an. Er zitiert einschlägige Beispiele, so »Die Ballade vom Vormarsch«, die Brües' Nähe zu Hitlers Kriegsmaschine erkennen läßt, und läßt auch sonst kaum ein gutes Haar an dem biederen Familienvater Brües, dem das Historische Archiv der Stadt Köln zum 100. Geburtstag 1997 eine Sonderausstellung gewidmet hatte. Differenziert würdigt Eßer den Süchtelner Fabulierer Albert Vigoleis Thelen (1903-1989), dessen kreativer Umgang mit Sprache ihn fasziniert: »Was seine Wortschöpfungen betrifft, steht Thelen ... Jean Paul in nichts nach.«
Freundliche Worte findet Eßer auch über den kürzlich verstorbenen Brüggener Leonhard Jansen. Löblich, daß er mit dem Kapitel über Dieter Wellershoff daran erinnert, daß dieser bedeutende Neusser Autor zum Niederrhein gehört. »Wellershoff ist der einzige der hier behandelten Autoren, der zur ersten Garde der deutschen Nachkriegsliteratur zählt.« Verdienstvoll auch, daß er dem gebürtigen Wickrather Günter Seuren (geb. 1932) ein Porträt widmet. Seurens erster Roman »Das Gatter« würde dank der Verfilmung Ulrich Schamonis unter dem Titel »Schonzeit für Füchse« (1966) weltbekannt. Mit dem mehrfach preisgekrönten Krefelder Herbert Genzmer hingegen vermag Eßer weniger anzufangen. Auch der Gladbacher Erfolgsautor Burkhard Spinnen scheint ihm nicht zu liegen. Kollege Eßer, selbst im Unterhaltungs-Schreibgeschäft (Szene-Romane »Dealer Wallfahrt« und »Bellmans Blues«), bescheinigt dafür dem 36jährigen Kalkarer Christoph Peters, der für »Stadt Land Fluß« 1999 den Niederrheinischen Literaturpreis der Stadt Krefeld erhielt, »höchstes Talent und Meisterschaft«. Ein Kapitel gilt Kabarettisten (Hüsch) und Cartoon-Künstlern (Walter Moers, Christoph Steckelbruck, Burkhard Fritsche), ein Novum in einer Literaturgeschichte des Niederrheins. Und schließlich beleuchtet Eßer die verdienstvollen Leistungen des Europäischen Übersetzer-Kollegiums in Straelen. »Jenseits der Kopfweiden« - auch ein hilfreiches Nachschlagewerk.
Dirk Richerdt
(Rheinische Post, 05.09.2002)
Besser als ein GPS-Navigationssystem
Multidimensionaler Literaturführer durch eine Region
Jenseits der Kopfweiden nennt Paul Eßer seinen neuen Führer durch Sprache und Literatur am Niederrhein, und deutet damit schon an: Seine Perspektive reicht über die engen Grenzen der Landschaft hinaus. Wenn er seinen Leser mitnimmt in die Vorüberlegungen zur Ortsbestimmung seines Gegenstandes und in die Darstellung von Sprache und Literatur der Region, bleibt auch der geringste Anflug provinzieller Beschränktheit außen vor.
Im ersten Teil des Buches erweist sich Eßer als subtiler Kenner der sprachlichen Eigenarten des Niederrheins, seiner Dialekt- und Regiolektvarianten und der Mundartliteratur. Im zweiten Teil stellt er in einer Reihe von Einzelkapiteln die wichtigsten hochsprachlichen Autoren vom Niederrhein vor, wobei Werkanalysen im Mittelpunkt stehen, Biographisches aber nicht zu kurz kommt. Daß Eßer auch dem Kabarett, den Cartoonisten, den Übersetzern und der regionalen Unterhaltungsliteratur eigene Kapitel widmet, erweist sich angesichts des Informationswerts zu diesen oft vernachlässigten Bereichen als besonders verdienstvoll.
Nach eigener Aussage hat Paul Eßer sein Buch für Menschen geschrieben, »die etwas darüber [d.h. Sprache und Literatur am Niederrhein] erfahren möchten« (S. 7), also zumeist kulturell interessierte Laien. Trotzdem ist seine Studie kaum dem »populärwissenschaftlichen« Genre zuzuordnen. Dafür ist sie einfach sprachlich und wissenschaftlich zu brillant geschrieben. Der literarisch interessierte Leser dürfte das Buch m. E. in einem Zug verschlingen, wobei die relativ häufigen (kurzen) Zitate der dargestellten Autoren das Ihre dazu tun mögen, sich der Literaturempfehlungen im Anhang (die auch Internetangebote enthalten) zu bedienen.
Eßers Buch füllt eine Lücke, und das in mustergültiger Form. Wer sich für Sprache und Literatur am Niederrhein interessiert, wird daran nicht vorbeikommen. Wer das Buch nur als Nachschlagewerk benutzen möchte, sollte angesichts des klaren Aufbaus das Fehlen eines Registers verschmerzen können.
Ein Wort noch zur Illustration. In traditionellen Literaturgeschichten finden sich bisweilen Autorenporträts und/oder Manuskriptfaksimilia. Die fünf Holzschnitte von Cyrus Overbeck vermitteln eine visuelle Impression vom Niederrhein, obwohl (oder gerade weil) sie kein Klischee bedienen.
Ein GPS-System führt eindimensional über die Erdoberfläche; Eßers Buch aber ist ein zuverlässiger Führer durch die vielschichtige Sprach- und Literaturlandschaft am Niederrhein.
Friedhelm Schmitz
(Muschelhaufen - Jahresschrift für Literatur und Grafik, Nr. 44, 2004)